Bundestag verabschiedet neues Jugendschutzgesetz

14.06.2002

Mit der Regierungsmehrheit von SPD und Grünen hat der Bundestag heute das neue Jugendschutzgesetz verabschiedet. Das Gesetz bedarf jetzt noch der Zustimmung des Bundesrates und soll noch vor der Sommerpause in Kraft treten. Vor allem werden die Kompetenzen der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien erweitert, die zukünftig für alle Medien mit Ausnahme des Rundfunks zuständig sein wird und zukünftig auch ohne Antrag ein Indizierungsverfahren einleiten kann. Darüber hinaus sollen Medien unabhängig von einer Indizierung mit Vertriebs- und Werbeverboten belegt werden, wenn sie den Krieg verherrlichen oder Menschen in einer die Menschenwürde verletzenden Weise darstellen. Computerspiele werden ebenso wie Filme mehrstufige Altersfreigaben erhalten, die im Gegensatz zur bisher freiwilligen USK-Kennzeichnung für den Handel verbindliche Abgabeverbote an Jugendliche bedeuten.

Anmerkung:

In Rekordtempo hat der Bundestag das neue Jugendschutzgesetz gerade einen Monat nach Vorstellung des Gesetztenwurfes durchgepaukt. Dabei hatte der Bundeskanzler nach dem Erfurter Amoklauf doch zu einer gesamtgesellschaftlichen Debatte aufgerufen. Dieser Aufruf blieb jedoch eine Farce: Denn im Kern waren sich ja die meisten Parteien einig, dass "Gewaltvideos" und "Killerspiele" verboten werden müssten, ohne das überhaupt jemand einmal genau erklärt hat, was man nun genau darunter zu verstehen hat. Dazu passt auch, dass man zur öffentlichen Anhörung im Bundestag in der Mehrzahl nur Leute von gesellschaftlichen Gruppen eingeladen hat, bei denen davon auszugehen war, dass sie die Meinung der Regierung nur bekräftigen würden. Vertreter der Filmindustrie oder z.B. Verbraucher, die über praktische Erfahrung mit solchen Filmen und Spielen verfügen, wurden zumindest nicht angehört.

Welche Folgen das neue Jugendschutzgesetz haben wird, dass lässt sich aus dem Gesetzestext kaum herauslesen. Denn dieser ist noch schwammiger als das bisherige Gesetz und eröffnet obereifrigen Staatsanwälten und Polizisten Möglichkeiten, die es nach der Theorie des Verfassungsrechts gar nicht geben dürfte. Denn der Vorbehalt des Gesetzes sollte eigentlich dafür sorgen, dass der Gesetzestext die wesentlichen Inhalte bestimmt, nach denen dann im Zweifelsfall ein Richter zu entscheiden hat. Doch so schwammig wie das Gesetz formuliert ist, ist es sogar verstellbar, das plötzlich selbst "Tom & Jerry" in die Kategorie "Gewaltvideo" fällt und mal eben beschlagnahmt wird. Man fragt sich auch, was die neue Allmacht der Bundesprüfstelle überhaupt soll, wenn unabhängig von deren Entscheidungen Videos und DVDs zukünftig Vertriebsbeschränkungen unterlegt werden. Noch hanebüchener wird allerdings, dass zukünftig gar nicht mehr in jedem Fall bekannt gegeben werden muss, dass ein Titel auf dem Index steht, womit wohl indirekt eingestanden wird, dass die Indizierung an sich erst das Interesse an Filmen weckt, die man sich ansonsten wohl kaum ansehen wird. Denn wer einmal einen Blick auf die Liste der Jugendgefährdenden Schriften wirft, wird dort zu 90 Prozent hochgradigen Trash entdecken, den er ansonsten wohl niemals zu Gesicht bekommen hätte. Wie aber bitte soll sich jemand gesetzestreu verhalten, der weiß, dass die Bewerbung oder der öffentliche Verkauf von indizierten Titeln unter Strafe stehen, er aber gar nicht mehr genau erkennen kann, was indiziert ist und was nicht? Die "Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften" hat in den letzten Jahren immer wieder betont, dass sie keine Zensurfunktion ausübe und indizierte Titel für Erwachsene weiterhin erhältlich sein sollen. Hiervon wird sich die "Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien" wohl verabschieden müssen, denn auch wenn sie formal keine Zensur ausübt, so wird ihr doch zukünftig eine Bedeutung zugewiesen, die in der Praxis kaum Unterschiede erkennen lässt. Bereits jetzt verkaufen viele Großmärkte keine indizierten Titel mehr und auch die DVD-Anbieter und Computerspiele-Hersteller werden sicherlich vorsichtiger werden, da sich momentan nicht eindeutig erahnen lässt, was nun bitte "Gewaltvideos" und "Killerspiele" genau sein sollen. Obendrein muss man sich wirklich fragen, ob das weiterhin bestehende Verbot des Imports von indizierten Medien aus dem Ausland durch Erwachsene überhaupt mit europäischem Recht vereinbar ist, welches den freien Warenverkehr innerhalb der EU als ein Grundprinzip garantieren soll. Gerade im Bereich der Versandverbote hätte es wirklich einer Anpassung des Gesetzes an die Realitäten bedurft, denn es wäre ohne Probleme möglich, zu gewährleisten, dass wirklich nur Erwachsene indizierte Medien bestellen können, indem man z.B. die Bezahlung per Kreditkarte oder per Nachnahme mit Kontrolle des Personalausweises als Bedingung stellt.

Die vollkommen einseitig verlaufene Diskussion nach Erfurt ist im Kern auf einen Bruch zwischen den verschiedenen Generationen zurückzuführen. Denn genauso wenig wie die Eltern der ehemaligen 68er, die heute auf der Regierungsbank sitzen, nachvollziehen konnten, wie sich ihre Kinder für Rock'n Roll und die Beatles begeistern konnten, ist es für die heutigen Erwachsenen, die ohne PC aufgewachsen sind, kaum nachvollziehbar, welche Faszination für heutige Jugendliche Computerspiele und Videos bedeuten. Und so kann man davon ausgehen, dass die Mehrzahl derjenigen, die heute diesem Gesetz zugestimmt haben, sicherlich kaum in der Freizeit mit dem Computer spielen. So musste z.B. Günther Beckstein, noch bayerischer und nach der Bundestagswahl möglicherweise Bundesinnenminister, in einem Interview des Hessischen Rundfunks kleinlaut zugeben, dass er Spiel "Counterstrike", welches er so gerne verbieten wollte, noch nie selbst gespielt hat, sondern sich nur auf die Aussagen seiner Mitarbeiter verlassen konnte. Es kann von keinem Politiker verlangt werden, alles zu wissen, doch wer keine Ahnung von der Materie hat, sollte sich dann auch nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. Mit der simplen Kausalität, die hier gerne zwischen Computerspielen und tatsächlichen Gewalttaten gezogen wird, müssten eigentlich auch alle Autorennspiele verboten werden, denn auch diese könnten ja dazu führen, im echten Straßenverkehr Crashs zu verursachen. Sicher, dass sollte nicht verharmlost werden, wird es immer Gestörte geben, die sich durch äußeren Einfluss zu etwas verleiten lassen, doch gegen diese einfache Verbindung spricht die große Anzahl derer, die solche Spiele spielen oder Videos gucken und trotzdem ein ganz normales Leben führen. Wer sich so einfach beeinflussen lässt, muss auch bereits vorher psychisch gestört sein, und um Gewalttaten wirklich zu verhindern, müsste hier angesetzt werden.

Solche Ignoranz der Politik gegenüber der Jugend könnte sich eines Tages rächen: Denn während heute noch die Alterstruktur der Bevölkerung eine wohlwollende Mehrheit garantiert, werden irgendwann diejenigen, die selbst mit Videos und Computern aufgewachsen sind, die Mehrheit bilden. Vermutlich wird es erst dann die Chance auf einen Jugendschutz geben, der nicht nur auf Schnellschüsse setzt, sondern die Interessen von Jugendlichen und Erwachsenen, die auch von den Jugendschutzbestimmungen eingeschränkt werden, in Einklang bringt. Solange sich mit dem populistischen Einsatz für den deutschen Fußball mehr Stimmen gewinnen lassen als für Filme und Computerspiele, ist aber keine richtige Reform in Aussicht.

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